Die Ideologie der Kadizadeli-Strömung bei den Osmanen

Mektebe Ibn-i Teymiyye:
Die Mektebe Ibn-i Teymiyye ist als Gegenstück zu der Mektebe Fahr-i Razi entstanden, welches seit Anbeginn der osmanischen Zeit bis zum 15. Jahrhundert als zentrale Lehre galt. Besonders sammelten sie Anhänger unter den Gelehrten von Tashra und unter den Predigern von Moscheen. Ihren Namen haben sie von Ibn Taymiyyah, welcher im Jahre 1328 im Gefängnis aufgrund von Folter starb. Der osmanische Staat griff seine Lehren und seine Ibadah-Weise auf und implementierte diese unsystematisch und locker in ihre eigenen Lehren. Diese Mektebe Ibn-i Teymiyye war der Ansicht, dass die Lehren des Fahr-i Razi nicht dem wahren Islam entsprechen und erst mit den Anstrengungen von Birgivi Mehmet Efendi festigten sich die Lehren der Kadizadelis im osmanischen Reich.

Mektebe Birgivi:
Die Lehren des Birgivi Mehmet Efendi sind Lehren, die bis zur heutigen Zeit einflussreich geblieben sind. Die Lehre besagt, dass jede religiöse Angelegenheit, die nicht in den Quellen des Islam (Koran & Sunnah) zu finden ist, eine Bid’ah (Neuerung) ist und beseitigt werden muss. Birgivi, der vom Madhab her Hanafi war, griff bei Angelegenheiten in der Aqida auf Ahmad ibn Hanbal und dem späteren Verfechter des Hanbali-Madhab, Ibn Taymiyyah, zurück. Das Gegenwirken gegenüber der Mektebe Fahr-i Razi und das Verbreiten seiner Lehren, sprang aus seiner wissensreichen Persönlichkeit heraus.

Der ursprüngliche Name von Birgivi Mehmet Efendi war Taqiuddin Mehmet und er wurde im Jahre 1523 in Balikesir geboren. Sein Vater, Pir Ali, war ein Mudarris. Bei seinem Vater hat er Arabisch und Logik/Philosophie studiert und den Quran auswendig gelernt. Später kam er nach Istanbul in die Haseki Medrese und lernte bei den bekannten Gelehrten der damaligen Zeit, wie z.B. Ahizade Mehmet Efendi und und Abdurrahman Efendi aus Rumeli, der unter dem Spitznamen „Kizil Molla“ bekannt war. Er bekam von Abdurrahman Efendi eine Ijaazah und fing selbst als Mudarris an. In der Zeit von Kanuni gehörte er zu den „Edirne Kassam-i“-Soldaten, aber hielt noch weiter Unterrichte in Moscheen. Birgivi rief die Leute dabei auf, Koran und Sunnah zu folgen und jede Handlung, die eine Neuerung war, zu vermeiden, weil sie (die Bid’ah) seiner Ansicht nach, die Fundamente der Religion beschädigen. Dieses Thema wurde in seinem arabischen Buch „At-Tariqatu’l Muhammadiyyah“ behandelt. Er zählte darin viele Neuerungen einzeln auf und klärte die Menschen auf. Nach Birgivi sind Neuerungen (Bid’ah) etwas zwischen Kufr und Irreleitung. Das Bauen von Schreinen auf Gräbern, das Anzünden von Kerzen, das Lesen des Koran für Geld an Friedhöfen, Bestechungsgelder, falsche Aqida, das Vergeben von Diplomen an reiche Menschen für Geld sind nach seiner Meinung verboten. Eine Sache, die Birgivi ebenfalls als Bid’ah einstuft sind die Stiftungen, die Geld einsammeln. Denn es ist nicht sichergestellt ob das gewonnene Geld auf einer haram- oder helalbasis verdient wurde. Auch schrieb Birgivi gegen die zwei Gelehrten, die solche Stiftungen erlaubten – Ebusuud Efendi und Kadi Bilalzade – eine Widerlegung.

Die zeitgenössischen Gelehrten von Birgivi waren nicht seiner Meinung und sagten, dass es gute und schlechte Neuerungen (Bid’ah hasana & Bid’ah sayyia)
Später wurde Birgivi Lehrer an der Madrasa vom Hoca des II. Selim, Ataullah Efendi in Birgi und lebte dort weiter. In den letzten Abschnitten seines Lebens kam er zurück nach Istanbul und gab dem Sadrazam Sokullu Mehmet Pasa eine Nasiha über die Ungerechtigkeiten im Land. Er prangerte bei ihm viele führende Positionen an und brachte viel Mut ans Tageslicht. Keines seiner Werke war einem Herrscher gewidmet. Er analysierte die politische, ökonomische, soziale, charakterische und religiöse Lage des Staates und versuchte Lösungsansätze dafür zu bieten. Alles führte darauf zurück, wieder zu Koran und Sunnah zurückzukehren und Neuerungen zu beseitigen.
Außerdem kritisierte Birgivi die Neuerungen der Ahlu-Tasawwuf (Sufis) und wurde aus diesem Grund als ein Feind des Sufismus angesehen. Jedoch sagte Abdulgani an-Nablusi in seinem Sharh von at-Tariqatu’l Muhammadiyyah, dass Birgivi nicht den Sufismus im Rahmen der Sunnah kritisierte, sondern den veränderten neuen Sufismus, welches viele Neuerungen beherbergte.

Er unterteile die Wissenschaften in 3 Kategorien: befohlene Wissenschaften, verbotene Wissenschaften und empfohlene Wissenschaften. Die befohlenen Wissenschaften müssen von jedem erlernt werden. Unter den verbotenen Wissenschaften zählt er die Philosophie (Kalam) und Astrologie auf aber er erwähnt, dass diese erlernt werden können, wenn es nötig ist, um jemanden zu widerlegen. Und die empfohlenen Wissenschaften sollten erlernt werden, um die Ibadah (den befohlenen Wissenschaften) zu unterstützen. Darunter fällt z.B. die Wissenschaft Medizin.
Ebenfalls sagte er, dass „Amr’i bil Mar’uf“ (das Gute gebieten) eine Pflicht ist. Dies zieht er aus der Ayah aus Al’i Imran >>Aus euch soll eine Gemeinschaft (von Gläubigen) entstehen, die zum Guten aufrufen, das Rechte gebieten und das Verwerfliche verbieten. Das sind die, denen es wohl ergeht.<< [Vers 104]
Mit diesem Hintergrundwissen können wir uns nun die Ideologie und die Bewegungsgründe der Kadizadeli-Strömung etwas näher betrachten.

Die Kadizadeli-Strömung
Das 17. Jahrhundert war das Jahrhundert, indem das osmanische Reich politische und soziale Tiefen erlebt hatte. Deshalb setzten sich viele Gelehrte und Führungspositionen das Ziel, eine Lösung dafür zu finden. In dieser Menge stach Kadizade Mehmet Efendi mit seinen Ideen hervor, da sie nicht der osmanischen Allgemeinheit entsprachen. So begann die „Kadizadeli-Strömung“ und wurde sehr einflussreich. Der Grund, warum die Ideologie der Kadizadelis „anders“ war, als die der osmanischen Allgemeinheit , ist, dass in dieser Zeit die Strukturen des „Madrasa & Tekke“ im osmanischen Reich beschädigt wurden und es andere chaotische Probleme gab. Dieser Zustand dauerte vom IV. Murad (1623-1640) bis zum IV. Mehmet (1648-1687) an. Es war eine Ideologie, die den Islam zum Ursprung (Zeit des Propheten s.a.w. und seiner Gefährten) zurückbringen sollte, also puritanisch und salafi. In einer Umgebung die stark nach einer Lösung eines Problems sucht, sind solche Ansichten anzutreffen.

Die Entstehungsgründe der Kadizadelis
Die zerbrechenden „Tekke & Madrasa“ Strukturen
Das Gedankengut der Osmanen befand sich in zwei Quellen – den Tekke und den Madrasa. Das Madrasasystem der Osmanen und dessen Lehrweisen waren beeinflusst von Saldschukischen und Anatolischen Madrasa. Zu Zeiten des I. Bayazid wurden die ersten Fundamente für so ein System gelegt und zu Zeiten des Fatih großflächig organisiert. Nachdem Kanuni die großen Madrasa in Suleymaniye eröffnet hatte, erlebten die Osmanen die Höhepunkte ihres Wissensstandes. Durch die Organisation wurde das Wissen in allen Bereichen implementiert.

In den Madrasa wurden „aqli & naqli“ (Logische und Überlieferte) Wissenschaften gelehrt. Neben dem Auswendiglernen wurden Wissenschaften gelehrt, die den Horizont erweitern sollten, wie z.B. Philosophie. Fahreddin Razi, Nasreddin et-Tusi, Sayyid Charif Curcani sind beispielhafte Gelehrten in diesen Bereichen.
Die Strukturen, die dem osmanischen Gedankengut die Richtung wiesen, sind die Tekke. Diese Tekke gab es schon seit Beginn der osmanischen Zeit. Darin wurden Religion und Sozialität verbunden und es wurde sich darin mit Wissenschaft und Ibadah beschäftigt. Man sieht auch, dass durch den Einfluss der Yasawi-Derwische und Horasan-Derwische, die Tariqat (Sufi-Orden) und die Ahlu-Tasawwuf sehr hohe Positionen erlangten. Die Tariqats gaben genau wie die Madrasa dem Verstand, den Wissenschaften und dem Charakter sehr große Stellenwerte.
Bis zum Ende des 16. Jahrhunderts haben die osmanischen Führer versucht, das System mit den Tekke und Madrasa aufrechtzuerhalten. […]

Dies führte auch dazu, dass die Gelehrten in den Palästen der Führer vertreten waren, sie die Führer beraten haben, sie vom Staat angestellt wurden jedoch in der Praxis die Führer immer den Rat der Gelehrten einholten.
Diese Zustände dauerten bis zum 17. Jahrhundert an und fingen an zu bröckeln. Das System der „Gelehrten ab Kinderwiege“ führten dazu, dass es Mudarris gab, die weit weg vom Wissen waren, somit keine Wissenschaften mehr gelehrt wurden und es einen Wissenschaftlichen Stillstand gab. Personen die der Shariah entgegenhandelten, vorallem nicht-sunniten, wurden sehr stark bestraft, verbannt und getötet. Das System der Tekke & Madrasa fing somit an beschädigt zu werden und dabei spielten natürlich auch die staatlichen, sozialen und ökonomischen Probleme eine große Rolle.

Kadizadeli Mehmet Efendi
Kadizade Mehmet Efendi wurde im Jahre 1582 in Balikesir geboren. Sein Spitzname resultierte daraus, dass sein Vater ein Kadi war. In seiner Jugend wurde er von Schülern des Birgivi unterrichtet. Er kam nach Istanbul und trat einer Halveti Tekke bei aber verließ diese mit der Begründung, dass die Tasawwuf-Ideologien ihm nicht passten und er wurde ein Prediger in den Fatih- und Ayasofya-Moscheen. Im Rahmen seiner Anstrengungen, die Leute zu Zeiten des IV. Murad zu verbessern, verbot er die Kaffee-Lokale und Tabak. Die einzigen, die IV. Murad dabei unterstützten waren die Kadizadelis. Dass Mehmet Efendi so predigte, wie es den Führern passte, gefiel ihnen und dies ging in die Geschichte als „Hoca Nüfuzu“ (Eindringen von Hocas) ein – dies führte im Nachhinein zu Unruhen beim Volk. Um die finanziellen, gesellschaftlichen und politischen Probleme der Zeit zu lösen, bat Mehmet Efendi dem Sultan IV. Murad das Werk „Tacu’r Rasail fi Manahij’il Wasail“ an. Dies war eine Version des Werkes „As-Siyasatu Shar’iyyah“ von Ibn Taymiyyah.

 

Hier ist es ersichtlich, dass Mehmet Efendi die Ansichten von Ibn Taymiyyah und Birgivi vertrat und nichts hinzufügte.
Die Themen die Mehmet Efendi diskutierte kann man unter verschiedenen Überschriften zusammenfassen. Diese sind: Ob es erlaubt ist, aqli(Logik)-Wissenschaften zu lehren, ob Khidr (a.s.) noch am leben ist, ob es erlaubt ist, den Adhan, Koran und Mawlid gesanglich vorzutragen, ob Sema und Devra erlaubt sind, ob Tasliya (sallallahu alayhi wa sallam) und Tarziya (Radiallahu anh) erlaubt sind, ob das Konsumieren von Tabak erlaubt ist, ob die Eltern von Muhammad s.a.w. als Gläubige gestorben sind, ob der Glaube des Pharaos gilt, ob Ibn Arabi kafir ist, ob man auf Yazid fluchen darf, ob nach dem Tod des Propheten s.a.w. auch die ´Urf und Rituale weitergelebt werden sollen, ob Grab- und Schreinbesuche erlaubt sind, ob es erlaubt ist an Tagen wie Regaib, Kadir, Berat etc. gemeinschaftlich zu beten, ob das Küssen der Röcke von älteren erlaubt ist, ob das Handgeben oder Trinken von Kaffee erlaubt ist oder Themen wie Amr bil Ma’ruf wa nahy an’il munkar. Diese Themen waren auch der zentrale Punkt der Diskussionen mit Abdulmecid Sivasi. Man kann die Diskussionen auch „Sharia gegen Tariqa“ nennen.

Mehmet Efendi sah Sema und Devran, das Lehren von Philosophie/Logik, das Lesen des Adhan, Mawlid und Quran in gesanglicher Form, Tasliya und Tarziya, Grab-und Schreinbesuche, das Beten von Nawafil-Gebeten in Gemeinschaft, den Konsum von Tabak und Zigaretten, Das Verbeugen vor älteren und das Handgeben als verboten an. Abdulmecid Sivasi dagegen sah dies alles als erlaubt an.

Die ersten Scharen der Kadizadelis erschienen in den Moscheen und in den Palästen der Sultane. Allgemein ist es bekannt, dass sie einen großen Einfluss auf die Herrscher hatten. IV. Murad hatte sogar mit dem Einfluss des Mehmet Efendi nach einem Brand ich Cibali, Istanbul im Jahre 1633 alle Kaffee-Lokale schließen lassen und die unter Todesstrafe gestellt, die dem Tabakverbot nicht gehorchten. Jedoch hielt Naima fest, dass IV. Murad gesagt hatte, eine Balance zwischen Sharia und Tariqa halten zu wollen und man sich nicht in die Sachen der Anhänger von Sivasi einmischen sollte.[…]
http://www.aksitarih.com/kadizadeliler-hareketi.html