Eine Widerlegung der Ḥizb ut-Taḥrīr

Al-Schaykh ʿAbd al-Raḥmān bin Muḥammad Saʿīd Dimaschqiyyah

Vorwort

Alles Lob gebührt Allah allein, und Segen und Frieden seien auf jenem, nach dem es keinen Propheten gibt. Ich bezeuge, dass es keine Gottheit außer Allah allein ohne Teilhaber gibt, und ich bezeuge, dass Muḥammad sein Diener und Gesandter ist, den er als Barmherzigkeit für die Welten entsandte.
Das zwanzigste Jahrhundert wurde nach dem Ende des osmanischen Reiches Zeuge des Erscheinens verschiedener religiöser Gruppierungen politischer Ausrichtung, welche mit dem Eintritt in das Feld der Politik die Hoffnung auf eine Renaissance der Ummah und eine Rückkehr zu ihrem früheren Ansehen und ihrer Führungsrolle verbanden. Jede dieser Parteien präsentierte dabei ein Werk und propagierte eine Methodik, deren Studium wegen ihres großen Nutzens als unumgänglich galt.

Zu diesen Gruppierungen zählt die „Ḥizb al-Taḥrīr“, eine Partei, die die Muslime zum Arbeiten an der Wiedererrichtung des Kalifats antreibt, welches nach ihrer Ansicht zum Anfang diesen Jahrhunderts zerstört wurde. Seit dieser Zeit befinde sich die Ummah auf dem Rückzug und habe ihr Wesen und ihr Ansehen unter den Nationen verloren, so die Partei.

Doch ignorieren diese Bewegungen geflissentlich die Rückentwicklung der Ummah in ihrer Religion, welche der eigentliche Grund für ihre weltliche Rückentwicklung ist. Sie verlor an Kraft, Land, Macht und Ehre nur in dem Maß, wie sie an Religion verlor. Die Rückständigkeit der zivilisatorischen Rolle die sie spielt, ist gleichsam das natürliche Resultat aus ihrer Rückständigkeit in der Religion. […] Und ihre Schwäche und Rückständigkeit ist zu einer Versuchung für die Nationen des Unglaubens geworden, welche ihren wissenschaftlichen Fortschritt zu Gunsten ihrer Religion gebrauchen, und ihn zu einem Symbol für ihre Richtigkeit gemacht haben.

Die Grundlagen, auf denen diese Bewegungen aufbauen sind Eifer und Emotionen. Ihren Banner tragen Personen, welche Eifer und Neigungen lehren, doch was sie nicht lehren ist Wissen. Sie stümpern und jene die ihnen folgen stümpern, und die Feinde der Muslime ziehen aus dieser Stümperei und diesem dilettantischen Handeln ihren Nutzen. Es überwiegt bei ihnen der Verlass auf improvisierte Mittel, womit sie die Muslime weiter schwächen, und wodurch sie den Feinden der Muslime eine Rechtfertigung nach der anderen liefern.

Die Daʿwah-Arbeit wurde unter Vorbehalt gestellt und kam, angehalten durch die politischen Umstände, zum Stoppen. So galt es keine Daʿwah mehr zu machen, bis der Boden und die Regierungsgewalt zurückerlangt sind. Doch weder kehrte das Land wieder, noch brachte man das Kalifat zurück, während viele mit den Religionen des Unglaubens starben. Die Sünde dafür, dass sie ohne Daʿwah gelassen wurden, lastet auf den Schultern der Muslime, und der Islam verlor mit ihnen eine Unmenge von Menschen, die mit anderen Religionen als dem Islam starben.

Es ist nicht gestattet, die Daʿwah aus irgendeinem Grund einzustellen, egal ob er politischer oder anderer Natur ist. Wäre die Devise des Gebietserhalts heiliger als die der Daʿwah, warum verließ dann der Prophet Mekka und gab den Befehl zum Verlassen? Das Problem des Bodens darf kein Grund sein die Daʿwah einzustellen, denn durch die Daʿwah werden aus Feinden dieser Religion Unterstützer, wie in der Schlacht von Khandaq. Durch die Daʿwah Musʿabs nahmen die Bewohner Medinas den Islam an. Der Faktor der Daʿwah hat also den größten Effekt bei der Änderung der politischen Situation der Ummah und dem Auflösen der politischen Misere unter der wir leiden, jedoch geben die Politaktivsten diesem Faktor nicht das Recht das ihm gebührt.

Wollen wir ein Blick auf den westlichen Staaten werfen, welche behaupten, dass sie nichts mit Religion zu tun haben. Wie stark unterstützen sie die Missionierungsaktivitäten und was für umfangreiche Budgets stellen sie dafür zur Verfügung. Doch nicht für das Wohlgefallen Gottes, sondern allein weil sie wissen, dass die Daʿwah zum Christentum ihnen den Weg für die Ausweitung ihres Einflussgebietes ebnet. Genauso sorgen sich die Rāfiḍah in großem Maße um die Daʿwah und geben Vermögen dafür aus, da sie wissen, dass die Daʿwah zu ihrem Glauben ihnen politische Vorteile verschafft. Was die islamischen Politaktivsten angeht, so findet sich in ihren politischen Programmen kein Platz für die wahre Daʿwah.

Die Kulturinvasion ist nichts Neues

Eines der Beispiele für die Unfähigkeit dieser Leute, die Realität richtig wahrzunehmen, ist was man in ihren Worten an umfangreichem Gerede über die Kulturinvasion und an Erwähnung der Verschwörungen von Dunlop und Swimmer findet, den beiden, die eine große Rolle beim Austausch der islamischen Lehrmethoden in den arabischen Ländern durch säkulare Systeme spielten.

Der Sufismus und die Philosophie gehören zur Kulturinvasion

Jedoch unterlassen sie das Sprechen über eine Wahrheit, die noch wichtiger ist als diese, nämlich dass die Ummah bereits seit beinahe 1200 Jahren einer noch abscheulicheren Kulturinvasion ausgesetzt ist, seitdem die Philosophie in die Grundlagen ihrer Religion eingedrungen ist. Bis heute haben sich die Muslime nicht davon befreien können, und es geht gar soweit, dass die Philosophie gleichbedeutend mit der Wissenschaft des Tawḥīds geworden ist. Als nächstes drang unter dem Denkmantel der Askese, des Gottvertrauens und der Liebe der Sufismus in die Religion ein, und es wurde so, dass jemand der die Grundlagen der Religion und die Wissenschaften der ʿAqīdah lernen wollte, nicht mehr umhin kam die Philosophie zu studieren, und jemand, der die Abgeschiedenheit und Liebe zu Allah suchte, hatte die Lehre des Sufismus zu studieren. Über diese beiden Weg sickerten Tausende von Neuerungen in den Islam ein.

Die beiden fremden Quellen hatten nicht einfach nur in den gängigen Lehrbüchern Einfluss auf die Lehrmethoden, sondern vielmehr auch in den Fakultäten und islamischen Universitäten, an denen die Gelehrten und Prediger ihre Ausbildungen abschlossen. Die Mehrheit von ihnen graduierte gemäß jener vergifteten Methoden, und wurde zu Verteidigern dessen, was ihnen beigebracht wurde. Sie rechtfertigten das Gift, welches sie geschluckt hatten. Die Falschheit wurde ihnen mit einem breiten Spektrum an Vorwürfen eingeflößt, bis diese Falschheit von Neuerungen in der ʿAqīdah und der Methodik schließlich diese Ummah dominierte, sodass jener, der die Religion wiederherstellen wollte, beim Betreten der Moscheen bei dem was er zu Sehen bekam nur noch seine Zuflucht bei Allah suchen konnte, und er seine Zurückweisung zu befürchten hatte.

Was ich damit erklären will ist, dass der, der die Krankheit nicht diagnostiziert hat, auch kein Heilmittel verschreiben kann. Die meisten islamischen Bewegungen sprechen nicht über die Notwendigkeit die bestehende Krankheit der Ummah zu ermitteln, weswegen sie auch kein richtiges Heilmittel geben können. Alles was sie geben sind Mittel, die in keiner Verbindung mit der eigentlichen Krankheit stehen, an der die Ummah leidet. Die Gelehrten und die einfachen Leute haben das Erbe dieser beiden Wege angetreten und die Neuerungen in der ʿAqīdah und den gottesdienstlichen Handlungen haben sich über Philosophie und Sufismus erstreckt.

Jene die zum Kalifat aufrufen sprechen kaum über diese Kulturinvasion, vielmehr kennen sie sie nicht einmal. Auch wissen sie nicht, dass der ursprüngliche Grund für das Unglück dieser Ummah, in ihrem inneren liegt und nicht von außen kommt. Der Teufel hat seine Ablenkungsmittel, und er weiß wie er die Menschen damit ablenkt, wobei sie aber nur in dem Maße wirken können, wie die Menschen der Ignoranz und den von der Kontrolle des Wissens und den Schranken der Scharīʿah losgelösten Emotionen verfallen sind. Solang sich die Reformer und Prediger nicht um diese Angelegenheit kümmern, werden sie nicht in der Lage sein eine Veränderung hervorzurufen. Die Grundlage von der ausgegangen werden muss ist:

Allah ändert die Lage eines Volkes nicht, bis es sich selbst ändert.

Was euch an Unglück treffen mag, es erfolgt ob dessen, was eure Hände gewirkt haben.

Sprich: «Es kommt von euch selbst.» Allah hat wahrlich Macht über alle Dinge.

Wozu über die Ḥizb ut-Taḥrīr sprechen?

Eine der Gnaden, die Allah dieser Ummah gewährt hat ist, dass man niemanden findet, der Fehler macht, der in die Irre gegangen ist oder der in einer Sache übertreibt, außer dass Allah für ihn jemanden bestimmt hat, der das Gute gebietet und das Schlechte verbietet.

Es gibt etwas, was zum Symbol der Ḥizb al-Taḥrīr geworden ist, an dem sie erkannt wird, und das ist ihr Angriff gegen Khabar al-Wāḥid und die Strafe des Grabes. Soweit, dass diese beiden Fragen zu den wichtigsten und ersten Dingen geworden sind, an die es zu glauben gilt. Ihre Diskussion rund umKhabar al-Wāḥid und die Strafe des Grabes fing sogar an, ihr Reden über das Kalifat zu übertreffen, was ihr eigentliches Ursprungsthema und ihre Hauptsorge ist.

Das Richtige für sie währe gewesen, sich vom Einmischen in dieses Thema, von dem sie aufgrund ihrer Auslastung durch Fragen der Politik keine Ahnung haben, fernzuhalten. Doch taten sie dies nicht, sondern sie begannen Zweifel zu sähen, und jene die ihnen widersprachen zu bezichtigen, der Religion zu widersprechen, während sie den Leuten den Anschein vermitteln wollten, sie seien wissender und besser als die Gelehrten des Hadīth.

Ich habe mich in dieser Abhandlung vordergründig darum gesorgt, dem Muslim eine umfassende Untersuchung zum Thema Khabar al-Wāḥid und Strafe des Grabes an die Hand zu geben, welche den Tumult den diese Leute verursacht haben beendet, und alle Untersuchungen die bereits zu dieser Frage durchgeführt wurden mit dem zusammenfasst, was dem Wahrheitssuchenden, selbst unter den Anhängern der Partei, beim Erreichen seines Zieles in diesen beiden Fragen und anderen hilft. Ebenso habe ich diese Abhandlung verfasst, da die Mitglieder der Partei selbst vielleicht nicht wissen, dass ihre Führer und Ideologen in diesen Fragen vom Weg der beiden Sekten Aschʿariyyah undMāturidiyyah ausgehen, welche beide der Philosophie entspringen, und über deren Ablehnung und Warnung vor ihnen, Konsens unter den Anführern der Sunnah herrscht.

Der Gründer der Ḥizb al-Taḥrīr

Bevor wir auf die Partei zu sprechen kommen, wollen wir einen kurzen Abriss der Biographie ihres Gründers betrachten:

Dieser war Taqī al-Dīn al-Nabhānī – möge Allah sich seiner erbarmen – Enkel von Yūsuf bin Ismāʿīl al-Nabhānī, einem extremen Sufī und Autor des umfangreichen und bekannten Werkes „Sammlung der Wunder der Awliyā’“. [1]

Taqī al-Dīn al-Nabhānī wurde 1909 im Dorf Ijzim in Haifa geboren. Er lernte den Qurān auswendig und studierte bei seinem Vater Ismāʿīl al-Nabhānī Fiqh.

Er besuchte die Azhar-Universität und erwarb dort seinen Abschluss wonach er nach Haifa zurückkehrte und als Lehrer arbeitete. Danach wechselte er in eine Richtertätigkeit, die er bis 1948 ausführte, als er sich in Beirut niederließ. Später kehrte er nach Jordanien zurück und arbeitete an der islamischen Fakultät, bis er sich schließlich in den 50er-Jahren ausschließlich dem Aufbau seiner Partei widmete und sich in Jordanien, Syrien und dem Libanon bewegte, um das Fundament seiner Partei zu verbreitern, bis er schließlich am 10.12.1977 im Libanon verstarb.

Er hat eine Reihe von Büchern geschrieben, darunter „Risālat al-ʿArab“, in welchem sich seine nationalistische Ausrichtung zeigt, während er Mitglied im Block der arabischen Nationalisten war. Es gehörte zu den ersten Dingen, die er vor der Phase der Parteigründung schrieb, und ich weiß nicht, ob er jemals den Widerruf dieses Buches erklärt hat. Weitere Bücher waren „Die Lebensordnung des Islams“, „Ein nachdrücklicher Aufruf an die islamische Welt“, „Die Parteibildung“, „Die Herrschaftsordnung im Islam“ und „Das islamische Wesen“.

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1. [ الأعلام للزركلي 8/218]

 

Seine ʿAqīdah

In seiner ʿAqīdah war er mehr ein Māturidī als ein Aschʿarī, auch wenn er beide als Gelehrte des Tawḥīds betrachtete. Vielleicht zeigte er auch einige Unterschiede zwischen den beiden Gruppierungen auf, was die Beweisführung oder das Thema der Vorherbestimmung angeht, jedoch hat er grundsätzlich die metaphorische Deutung der Eigenschaften Allahs adaptiert, wie beispielsweise bezüglich der Aussage des Erhabenen „Die Hand Allahs ist über ihren Händen“ über die er sagte: „Die Macht Allahs ist über ihrer Macht.“ [1]

Und von dieser metaphorischen Deutung bezeugte der Vater der AschāʿirahAbu al-Ḥassan al-Aschʿarī und der Kommentator von „al-Fiqh al-Akbar“ al-Schaykh Mullā ʿAlī Qārī, dass die Deutung der Hand als Macht und der Erhebung als Besitzergreifung, sowie die Verleugnung der Erhobenheit Allahs über den Himmeln, der Kern der Interpretation der Muʿatazilah war und ihr Weg und ihre Ansicht. [2]

Ebenso folgte er al-Rāzī im Hochhalten des Verstandes und darin ihn den Beweisen der Scharīʿah vorzuziehen. Er erklärte, dass die Beweise des Qurāns unsicher blieben und keine Gewissheit liefern könnten, solange nicht zehn Bedingungen erfüllt seien, und zu ihnen gehört, dass sie nicht dem Verstand widersprechen, was bedeutet, dass wenn ein Beweis der Scharīʿah dem Verstand widerspricht, er zweifelhaft (ẓannī) wird, selbst wenn er aus Qurān und Sunnah ist. Daher ist der zweifelhafte Beweis bei diesen Leuten nicht etwa der Khabar al-Āḥād, sondern vielmehr ist sogar der Mutawātir-Beweis bei ihnen zweifelhaft, selbst wenn er eine Ayah des Qurāns ist, bis er sich mit dem Verstand vereinbaren lässt. [3]

So ist der Verstand eine Quelle aus der losgelöst von der Quelle der Scharīʿahgenommen werden kann, und der Beweis dafür ist seine Aussage, dass für ihn etwas verstandmäßig zulässig ist, was jedoch nach der Scharīʿah unzulässig ist, nämlich, dass sich die Gefährten des Propheten auf einen Fehler einigen und diesen für richtig halten. [4] Dieses Ergebnis des Verstandes steht in Widerspruch zur Scharīʿah, denn der Prophet sagte: „Meine Ummah einigt sich nicht auf einen Irrtum.“ Die Parteiler verbieten es den Menschen sogar, im Nachweis der Existenz Allahs Beweise aus Qurān und Sunnah zu zitieren. Sie betonen das bei jeder Gelegenheit und sagen, dass man sich bei der Beweisführung allein auf Beweise des Verstandes beschränken müsse.

Ich habe bemerkt, dass die Gegner der Partei bei der Diskussion mit ihren Anhängern oft ratlos zurückbleiben, da sie nichts über die ʿAqīdah der Partei und ihres Gründers wissen. […] Solche Themen sind das Erste, was in der Auseinandersetzung mit ihnen besprochen werden muss, noch vor dem Khabar al-Wāḥid, denn der Khabar al-Wāḥid ist nichts anderes, als einer von vielen Punkten der ʿAqīdah, in denen die Aschāʿirah und Māturidiyyah der Ahl al-Sunnah wa al-Jamāʿah widersprechen.

Er ist den Tatsachen ausgewichen und hat die Wahrheit versteckt, indem er in seiner Enzyklopädie der Glaubensrichtungen und -schulen behauptete, dass dieʿAqīdah der Partei nicht außerhalb der ʿAqīdah von Ahl al-Sunnah wa al-Jamāʿah liege! [5] Und obwohl die ʿAqīdah der Aschāʿirah und Māturidiyyahzwei in der ganzen islamischen Welt verbreitete Irrlehren sind, die der Ahl al-Sunnah in den Eigenschaften Allahs, in seinem Wort, in der Vorherbestimmung und in anderen Sachen widersprechen, verliert er in seiner Enzyklopädie kein Wort über sie.

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[1] الشخصية الأسلامية 3/132، وانظر 3/374 ط:القدس 1953
[2] مقالات الأسلاميين للأشعري 157، تبيين كذب المفتري لابن عساكر 150، الفقه الأكبر 33، وانطر كتاب شرح الأصول الخمسة 228، ومتشابه القرآن 231 كلاهما للقاضي عبد الجبار المعتزلي
[3] الشخصية الأسلامية 3/158
[4] الشخصية الأسلامية 3/297
[5] الموسوعة الميسرة في الأديان والمذاهب المعاصرة 136